Niemand hat die Absicht einen Upload-Filter einzubauen

In der Politik wird in letzter Zeit häufig mit dem Menschenverstand argumentiert: „Ein Tempolimit sei gegen jeden Menschenverstand“, verkündete Andreas Scheuer (CSU), Verkehrsminister, kürzlich.

Ergänzend dazu ist Realismus wichtig. So hält auch Svenja Schulze von der SPD ein Tempolimit für komplett unrealistisch.

Das ist eine steile These und wird hoffentlich noch einmal diskutiert werden. Jetzt geht es erst einmal um „Menschenverstand“ und „Realismus“. Beides ist in der Politik wichtig.

Man fragt sich nur, wo der Menschenverstand geblieben ist, als am Dienstag im Europa-Parlament über die Urheberrechtsreform abgestimmt wurde.

Kaum etwas erhitzte in den vergangenen Wochen sosehr die Gemüter wie der berüchtigte Artikel 13 – der mittlerweile Artikel 17 heißt. Dieser besagt, dass Plattformen wie Google, Instagram und Youtube zur Rechenschaft gezogen werden sollen, wenn bei ihnen Urheberrechte verletzt werden, wenn bei ihnen also etwas hochgeladen wird, was man nicht selbst erzeugt hat.

Zumindest die Idee dahinter ist nicht schlecht – Copyright ist wichtig und es ist wichtig, dass Künstler, für das was sie produzieren und hochladen, ordentlich entlohnt werden. Das Problem: Kreative und Künstler, jeder, der etwas für das world wide web produziert, lebt davon, dass es verbreitet wird. Genau diese sollen mit Artikel 17 aber geschützt werden – in dem die Verbreitung massiv erschwert wird.

Die einzige Möglichkeit, diese Richtlinie durchzusetzen und die zwar realistisch ist, dafür aber nicht mehr viel mit Menschenverstand zu tun hat: Upload-Filter.

Pardon, Inhaltserkennungstechnik, wie Axel Voss, CDU, Berichterstatter und Verhandlungsführer in der EU-Kommission es zu nennen pflegt.

So eine Technik kann man sich wie folgt vorstellen: In einer riesigen, zentralen Datenbank wird von allem, was unter Urheberrecht steht, eine Kopie gespeichert. Lädt man nun etwas hoch, dauert es erst einmal eine Weile, bis zum Beispiel das Video erscheint, denn: das Video muss mit den Inhalten der Datenbank abgeglichen werden. Gleicht es einem Inhalt dieser Datenbank, ist es folglich eine Urheberrechtsverletzung und wird nicht hochgeladen. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob in dem Video zitiert wird, oder Memes eingeblendet werden – ein Upload-Filter erkennt weder Zitate, noch Satire. Zumal durch Artikel 11, dem sogenannten Leistungsschutzgesetz (Unternehmen sollen an Verlage zahlen, wenn etwa Artikel verwendet werden), das Zitieren faktisch lizensiert wird.  

Auch aus technischer Sicht ist ein Upload-Filter unrealistisch: Man sieht es bei der Content-ID von Yotube, die das Copyright stärken soll und in die das Unternehmen mehr als 60 Milliarden Dollar investierte: Häufig werden fälschlicherweise Videos gesperrt, die nicht unter Urheberrecht stehen. Es ist also vollkommen absurd, dass es in zwei Jahren einen Upload-Filter gibt (denn nichts anderes ist die Content-ID oder Voss‘ Inhaltserkennungstechnik), der fehlerfrei funktioniert.

Die andere Variante ist, und die ist noch unrealistischer, dass jedes Unternehmen Lizenzen mit allen Urhebern vereinbart: also jedem Menschen auf der Welt. Muss man noch erwähnen, dass das unrealistisch ist, dass es gegen jeden Menschenverstand verstößt, wie man in der großen Koalition so schön sagt?

Aus der CDU hört man wenig davon, wie man diese Richtlinie in der Praxis umsetzen möchte, nur so viel: „Einen Upload-Filter wird es nicht geben“. Nun gut, wir werden sehen. Es ist ja auch nicht wichtig, dass man als Politiker, der an einer Reform für 500 Millionen EU-Bürger arbeitet, Ahnung von der Materie hat. Und Gegenvorschläge kann man eigentlich auch sofort unter den Tisch kehren.

Doch die Zweifel am Verzicht auf Upload-Filter bleiben – das die zahlreichen Demonstranten, die europaweit auf die Straße gehen – allein in Deutschland sind es mehr als einhunderttausend.

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Mehr als einhunderttausend Menschen machten von ihrem Demonstrationsrecht und ihrem Recht zur freien Meinungsäußerung gebrauch!

Vielleicht sind die jungen Leute – denn es sind vorwiegend junge Leute auf den Straßen – doch nicht so politikverdrossen, wie man immer glaubte.

Vielleicht sind es aber auch einfach nur Bots und von Google gekauft. Das zumindest kommentierte die CDU in einem Video.

An dieser Stelle sollte man vielleicht über Kommunikation und demokratische Werte nachdenken. Tipp: demokratische Streitkultur und nicht zuletzt das Gewinnen von Wählern funktionieren meistens nicht mit Diffamierung. Und schaut man sich die Wahlergebnisse der CDU an, wären ein paar mehr Wähler durchaus gut. Zumindest aus Sicht der CDU. Wähler gewinnt man meistens aber auch nicht damit, dass man den Koalitionsvertrag (so gut wie) bricht: Dort ist nämlich verankert, dass Upload-Filter auf Bundesebene nicht eingeführt werden sollen, da sie „unverhältnismäßig“ seien.

Eine EU-Richtlinie muss innerhalb der kommenden zwei Jahre aber in das jeweils nationale Gesetz eingebettet werden – und sie ist verbindlich. Man kann nur wiederholen, dass das ganze Unterfangen realitätsfern ist, wenn die CDU nicht komplett ihre Glaubwürdigkeit einbüßen möchte. Die Frage nach dem Menschenverstand bleibt – und die Forderung nach einem Urheberrechtsgesetz. Einem Gesetz, das wirklich den Nutzern und Kreativen etwas bringt und nicht Konzernen wie Google, die am Ende doch noch von der Reform profitieren, weil sie „Informationserkennungstechniken“ an kleinere Unternehmen, die sich eine eigene Entwicklung nicht leisten können, verkaufen können.

Lea Schneider

2 Gedanken zu „Niemand hat die Absicht einen Upload-Filter einzubauen“

  1. Super Artikel! Danke für die ausführliche Berichterstattung. Es ist schon bitter, dass Demokratie in der EU scheinbar gleichgesetzt wird mit Lobbyismus…

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