* / () -in: Eine Glaubensfrage

An was denkst du, wenn ich von einer Krankenpflegerin spreche? Mit Sicherheit erscheint vor deinem inneren Auge eine Frau in weißem oder blauem Gewand, die in einem Krankenhaus arbeitet und sich um die Patienten kümmert. Nehme ich jetzt den Maurer, denkst du an einen breit gebauten Mann in einem kurzen karierten Hemd mit einem gelben Bauhelm und behaarten Armen. 

Das sind allesamt Stereotypen und sprachlich geprägte Vorurteile. Sprache beeinflusst, wie wir denken und handeln. Deswegen ist Rhetorik ja auch so wirksam. Schließlich ergibt sich, weshalb die Diskussion über das Gendern einst entbrannte und inzwischen so emotional geführt wird. Oder willst du im Diskurs vergessen werden? Vergessen werden… vielleicht vergisst man ja auch irgendwann deine Grundrechte. Dann wirst du nur noch mit hochgezogener Augenbraue angeschaut: „Was bist du?“ 

Dabei gibt es sprachliche Extrema. Schauen wir auf das Englische: grammatisches Geschlecht? Fehlanzeige! Es ist „the actor“, „the actress“ gibt es auch, ist jedoch veraltet. Heute wird es als sexistisch angesehen, weil es den Fokus unnötig auf das Geschlecht lenkt und weniger auf die eigentliche Tätigkeit, die mit dem Begriff beschrieben werden soll. Das andere Extrem: Französisch. Die Details sind mir inzwischen entfallen. Jedoch ist mir aus meinem Französischunterricht im Sinn geblieben, dass es unzählige Nachsilben gibt, die sich allesamt nach dem grammatischen Geschlecht richten. Man unterscheidet also: „Il est entré“ (Er ist eingetreten) und „Elle est entrée“ (Sie ist eingetreten). 

In unserem Nachbarland beachtet man das Geschlecht sogar beim Konjungieren und wir machen uns Gedanken über Nachsilben für die Substantive?! Das erscheint ein wenig wie Jammern auf hohem Niveau. Das Deutsche ist geprägt vom generischen Maskulinum. Das liegt einfach an der traditionellen männlichen Rolle. Schau doch nur mal in das Geschichtsbuch. Wie viele weibliche Herrscher (oder sollte ich sagen Herrscherinnen?) findest du? 

Selbstverständlich hat sich die Rolle der Frau gewandelt. Einige sprechen von Gleichberechtigung. Es ist eine schöne Illusion (Stichwort: Lohnunterschiede). Das ist jedoch eine andere Diskussion. Sprache dient jedenfalls als Spiegelbild der Wirklichkeit. Sprichst du mit einem Blinden, ist sie das einzige Medium, ihm eine Situation zu beschreiben. Sprache hat also auch eine Verantwortung dem Realen gegenüber. Sie sollte die Realität abbilden und ist in der Pflicht, dies so akkurat wie möglich zu tun. Somit erscheint es nur logisch, von Maurerinnen und Krankenpflegern zu sprechen, die Worte anzupassen. Es ist die legitime Repräsentation der Geschlechter. Manche meinen sogar, es wäre ein Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Aber können ein paar Binnen-I wirklich die Lohnprobleme von Frauen lösen? 

Nein! – sagen viele. Für Gleichberechtigung sind die sprachlichen Formen nicht relevant und der Einfluss der Sprache auf die Realität ist eindeutig begrenzt. Aber doch, man sollte Gendern. Ganz klar wird das, wenn man das folgende Beispiel betrachtet: 

Ausgerechnet Männer lehnen das Gendersternchen ab. Frauen oder Diverse stehen dem offener gegenüber. Fühlt sich da etwa jemand vergessen? Gesprochen klingt „Lehrer*innen“ ja genau wie „Lehrerinnen“. Es scheint fast so, als könnten sich die Männer in die Situation der Frauen hineinversetzen. Dabei verstehen sie jedoch nicht, was eigentlich passiert. So geht es den Frauen doch seit Jahren! „Ach die sind mitgemeint“ Ja, in „Fußballer*innen“ seid ihr auch mitgemeint, liebe Männer. Trotzdem sehen sie das als Argument gegen das Gendern. Paradox, nicht wahr? 

Grammatisch ist Gendern absoluter Schwachsinn! Keine der heute gebräuchlichen Formen ist von den deutschen Regularien abgedeckt. Egal ob Binnen-I, Sternchen, Doppelpunkt (Wtf?! Das tut doch beim Lesen weh!), Unterstrich oder was man sich sonst noch für Strukturen überlegt. Allesamt werden vom Deutschlehrer mit dem Rotstift freudig als falsch markiert. Das hat auch das sächsische Kultusministerium vor kurzem erst bestärkt. Lehrer sollen in Aufsetzen solche Versuche, zu gendern, anstreichen. Ob das der richtige Weg ist? Aber ich schweife ab. Den Schrägstrich kombiniert mit dem Auslassungsstrich oder die Klammern um die Nachsilbe gibt es ja auch noch. Diese sind sogar erlaubt! (Das heißt ja…Gendern gibt es im Deutschen schon lange und ist grammatisch für richtig befunden worden.) Auch die schlichte Doppelnennung ist möglich. Das Problem: Das dritte Geschlecht wird hier noch nicht berücksichtigt. Es wäre also Zeit für eine Anpassung. In der Praxis setzt sich ja der Stern immer mehr durch. 

Halten wir fest: Gendern ist schon lange ein Teil des Deutschen. Warum also die Aufregung? Die Formen müssten mal wieder angepasst werden. Das wird schon noch. 

Das Problem ist die Diskussion. Es stimmt, dass übermäßiges Gendern den Fokus, wie oben beschrieben, unnötig auf das Geschlecht bzw. auch auf den technischen Teil der Sprache lenkt. Somit bleibt ab hier: Gendern ja, aber bitte richtig! 

Was heißt nun richtiges Gendern? 

Wie wäre die These, dass es Missverständnissen vorbeugen kann? Nehmen wir ein Beispiel: „Wer war wirklich beim Panel dabei; nur Politiker? Oder auch Politikerinnen?“ (M6 Z. 21). Hierbei ist einfach nicht eindeutig, ob bewusst die männliche Form zur Betonung oder schlicht als Sammelbegriff verwendet wurde. Man muss also auf jeden Fall in Situationen darauf achten, wenn Missverständnisse entstehen könnten.

Ist es überhaupt notwendig, das Geschlecht zu betonen? Grammatisches und natürliches Geschlecht stimmen schließlich oft nicht überein. Vermutlich sollte man einfach den Kontext beachten. Für die Sache ist es doch irrelevant, ob du deine Brille von einem Optiker oder einer Optikerin bekommen hast. Entscheidend ist, dass eine Optikerfachkraft dir deine Brille bereitgestellt hat. Anders ist es, wenn du (als Frau) betonen möchtest, dass du im Modefachgeschäft sehr gut von einer kompetenten Verkäuferin beraten wurdest, die deine Probleme mit verschiedenen Schnitten sofort nachvollziehen konnte. Es ist allerdings schon schwer, ad hoc überhaupt Beispiele zu finden, in denen das Geschlecht eine solche Rolle spielt, als dass es wirklich hervorgehoben werden muss. 

Schließlich muss man wohl im Alltag je nach Situation abwägen, wann es wichtig ist, das Geschlecht zu betonen. Man kennt für gewöhnlich die Personen, mit denen man kommuniziert und kann dementsprechend abschätzen, wie diese reagieren und wodurch sie sich ggf. ausgegrenzt fühlen würden. Wenn nicht: Kann man doch ganz unverblümt nachfragen, oder? 

Sollte man gendern; wenn ja, wie? Eine Frage, die viele Kontroversen aufzeigt und bei der Welten, ja fast schon Glaubensrichtungen aufeinanderprallen. Und dem zu Grunde liegt nur die Überlegung: Können wir das noch neutral einschätzen? Sind wir überhaupt im Stande, diese Frage zu beantworten? 


Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Sprache – Denken – Handeln. Hier kann er nochmal mit den projektbezogenen Quellenangaben nachgelesen werden.

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